Die erste Woche

Endlich komme ich dazu meinen ersten Bericht aus Samos zu schreiben. Die ersten sechs Tage im Team von Movement on the ground waren sehr eindrücklich und auch ein bisschen anstrengend.

Foto: Samos-Kids / © Rob Timmerman

Aktuell

Glücklicherweise kam es in der letzten Woche zu keinen weiteren Übergriffen auf Mitarbeiter*innen von NGOs oder Geflüchtete auf Samos. Nach einigen Gesprächen mit der Vermieterin meines Zimmers kann ich die Frustration der Einwohner*innen hier auch zum Teil nachvollziehen. Die Menschen leben dauerhaft mit der Situation und fühlen sich von der EU alleine gelassen. Die rechten Schläger nutzen diese Grundstimmung dann für ihre Auslegung der Situation aus.

Was wir machen

Los geht's morgens um halb neun. Das Team trifft sich in einem Café in der Innenstadt von Vathy und bespricht die aktuelle Lage und die anstehenden Aufgaben. Aktuell sind rund fünf "visiting volunteers" aus den Niederlanden, Schweiz, Spanien und Italien im Team. Außerdem noch ca. fünf "residential volunteers" aus z.B. Syrien und Afghanistan, die im Village (Camp bzw. "Jungle") leben.

Mit dem Auto geht's dann in den Jungle. Dort haben wir uns in der letzten Woche hauptsächlich um die Müllentsorgung gekümmert. Außerdem haben wir, aufgrund der Gefahren des Corona-Virus und zur generellen Verbesserung der Hygiene, Desinfektionsspender montiert.
Es gibt im inoffiziellen Teil des Lagers (dort leben rund 7000 Menschen) keinerlei Unterstützung der griechischen Regierung oder der EU. Die Müllentsorgung wird komplett durch Spenden und Freiwillige durchgeführt. Sogar der Abtransport auf die Deponie muss auf Spendenbasis stattfinden.
Wir geben regelmäßig Mülltüten an die Bewohner*innen aus und sammeln die gefüllten Säcke wieder ein. Das Verteilen der leeren Säcke kann ziemlich anstrengend werden, weil die Kinder sich einen Spaß daraus machen uns nach Säcken zu fragen oder uns welche wegzuschnappen. Die Freiwilligen werden meistens mit "My Friend..." angesprochen. Von dem Satz "My friend one plastic please" werde ich wohl demnächst träumen. Die Bewohner*innen sind aber sehr dankbar über unsere Unterstützung. Ich möchte mir nicht ausmalen wie die Zustände ohne diese Arbeit dort aussehen würden.
Zusätzlich führen wir an Orten an denen sich, aufgrund fehlender Entsorgung, Deponien gebildet haben Clean-ups durch. Das ist keine sehr appetitlich Aufgabe, hat aber in der letzten Zeit zu einer Verbesserung der Lage geführt.

Foto: Das Camp in Vathy im markierten Bereich. Der EU-Hotspot befindet sich im eingekreisten Bereich.

Während der Arbeit im Jungle versuchen wir außerdem herauszufinden ob Menschen andere Hilfe benötigen. Z.B. versorgen wir neu Angekommene mit Paletten, damit deren Zelte nicht im Dreck stehen und etwas geschützter vor den Ratten sind. Außerdem werden oft Planen benötigt um die Zelte zusätzlich abzudecken oder die sogenannten "Structures" (Hütten aus Holzlatten und Planen) abzudichten.

Des weiteren versuchen wir herauszufinden ob unbegleitet Minderjährige im Jungle leben. Diese sind dort sehr gefährdet und haben die Möglichkeit im Hotspot-Bereich in einer "Safe area", einem geschützen Bereich, zu leben. Leider habe ich in dieser Woche schon von zwei Selbstmordversuchen von unbegleiteten Minderjährigen mitbekommen. Das wie schlimm die Lage, gerade für Kinder, im Jungle ist.

Situation im Jungle

Auch wenn es in einigen Bereich auf den ersten Blick nicht so wirkt, ist die Lage sehr dramatisch. Es gibt nur wenige Wasserstellen und viel zu wenig Toiletten. Diese werden alle von Ärzte ohne Grenzen zur Verfügung gestellt, es gibt keinerlei staatliche Unterstützung. Es ist schrecklich zu sehen, dass die Kinder in diesem Dreck aus Urin, Kot und Müll spielen. Oft genug finden wir Rasierklingen und tote Ratten im Müll.
Hinzu kommt der psychische Druck. Die Zelte und Hütten stehen dicht an dicht. Alle Menschen, auch im Jungle, sind registriert und müssen alle zwei Wochen ihre Papiere verlängern lassen. Für die Verlängerung und um die Essenspakete abzuholen müssen die Menschen sich stundenlang anstellen. Außerdem wird das gesamte Lager mit Lautsprechern beschallt. Wer für sein Asylverfahren ins Büro einbestellt wird, wird zweimal namentlich aufgerufen. Es ist fast unmöglich die Durchsagen zu verstehen und alle sind dauerhaft mit einem Ohr dabei ihren Namen rauszuhören.

Corona Virus

Auch in Griechenland sind seit einigen Tagen alle Schulen und Restaurants geschlossen. Das betrifft auch fast alle Angebote in den Community-Centers für die Bewohner*innen. Sprach- und Musikunterricht und alle Angebote für Kinder wurden geschlossen. Wir haben das im Jungle sofort bemerkt. Die Menschen, gerade die Kinder waren viel angespannter. Ein kleines Mädchen hat mir auf Englisch erzählt, dass sie so gerne zur Schule gehen möchte und die nun aber geschlossen ist. Die Alternative dazu war dann, mit Murmeln im Dreck vor den Dixieklos zu spielen.

Derzeit gibt es zum Glück noch keinen Fall von Corona-Virus auf Samos. Die einzigen Maßnahmen derzeit sind Seifenstücke, die von Ärzte ohne Grenzen an den Wasserstellen aufgehängt werden - leider viel zu wenig für 7000 Menschen. Wir haben in den letzten Tagen außerdem Handspender mit Desinfektionsmittel im Jungle installiert. Auch das wird nur teilweise helfen, Da die Menschen hier viel zu dicht nebeneinander leben müssen. Die einzig richtige Maßnahme wäre die Evakuierung der Lager auf den griechischen Insel. Diese Forderung wurde auch bereits von Ärzte ohne Grenzen veröffentlicht:

In dieser Woche hat mich die Art der Zusammenarbeit sehr berührt. Bei einem Clean-up haben wir mit zehn Menschen aus allen möglichen Ländern, Geflüchteten aus Syrien und Gambier und Freiwilligen aus Europa und Kanada zusammengearbeitet. Jede und jeder hat den anderen unterstützt, egal wie dreckig oder schwierig die Arbeit war. Diese Situation hat mir mal wieder gezeigt, dass es funktioniert wenn man möchte!

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